Brahms bereichert

Es ist ein Spaß, wenn im prallvollen Bach-Saal der Kieler Universität hehre Musikwissenschaft mit ihrem eigentlichen Ziel lustvoll hintergründig informierter Musikausübung Hand in Hand geht. Die Kräfte der von Prof. Siegfried Oechsle geleiteten Brahms-Gesamtausgabe präsentierten nach trübe publikumsfernen Corona-Jahren jetzt gleich neun neue Bände der Edition – und begrüßten dabei auch hellhörige Gäste aus Wien und New York.

In den Neun aus [Sieben]undsechzig nahm Andreas Malzahn, Leiter des Forschungsreferats im Kieler Kulturministerium, auch weltweit Gewichtiges wie die Neuausgabe des „Deutschen Requiems“ in Empfang. Da haben Land und Bund mit Partnern wie der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde oder dem Henle Verlag nun schwarz auf weiß, wie die Herausgeber Michael Musgrave und Michael Struck mit mehr oder weniger stimmigen Aussagen zum berühmten Werk umgehen oder Fehler in bisherigen Notenausgaben korrigieren.

Wenn dann die Studentenkantorei unter der Leitung von UMD Daniel Kirchmann daraus einen Satz mit Brahms‘ Klavierauszug-Begleitung singt oder Johannes Behr und Struck am Klavier das Kontrastwerk „Triumphlied“ im nie gehörten originalen vierhändigen Arrangement als eine Art „deutsches Te Deum“ mit zärtlich implantiertem Choral erklingen lassen, ist das lebendige Wissenschaft.

Jakob Hauschildt hat Chorwerke wie das hochgeistige „Geistliche Lied“ in die Edition eingepflegt. Die Studentenkantorei hat es prompt mit Matthias Lücke an der Orgel parat. Und Katrin Eich führt mit Instrumentierungen von Schubert-Liedern durch den Bewunderer Brahms auf gänzlich unbekanntes, erstmals aus handschriftlichen Quellen (für Frauenchöre in Hamburg und Wien) greifbar gemachtes Terrain. Da schlummert Reizvolles, das deuten die Sopranistin Elisabeth Raßbach-Külz, Frauenstimmen der Kantorei und Bläser des Collegium musicum unter Daniel Kirchmann an.

Spannend für die norddeutsch weit verbreiteten Brahms-Fans im Viereck Heide/Holstein, Hamburg, Lübeck und Kiel ist auch der Band mit den Violinsonaten, in dem Bernd Wiechert mit Michael Struck nicht nur die drei Hits, sondern auch die Violinfassungen der Klarinettensonaten bekannter gemacht haben.

Außerdem im Anhang, da nicht mehr selber vom Komponisten in Druck gebracht: die vollständige „Frei-aber-einsam-Sonate“, in der Brahms auf E.T.A. Hoffmanns Spuren als „Johannes Kreisler junior“ neben Albert Dietrich und Robert Schumann einen blendend gelungenen Scherzo-Satz beisteuerte – hier mitreißend schwungvoll interpretiert vom philharmonischen Konzertmeister Rüdiger Debus und der Pianistin Vera-Carina Stellmacher.

Kieler Nachrichten vom 25. Mai 2023, Autor: Christian Strehk