Messianisches Leuchten von Norden her: Gesprächskonzert und Forscheranalysen zu Brahms

„Es ist schade um ihn. Er könnte so ein guter Klavierspieler sein, aber er will das ewige Komponieren nicht lassen“. Diese Einschätzung übermittelte Otto Friedrich Willibald Cossel dem Vater eines Schülers. Der Pädagoge erwies sich in diesem Falle als wenig vorausschauend, denn der Name seines Eleven lautete Johannes Brahms. Sein Verhältnis zum Klavier wurde in einem Gesprächskonzert im Landtag beleuchtet, zu Gast waren die beiden Musikwissenschaftler Dr. Katrin Eich und Dr. Michael Struck, beides Mitarbeiter der „Johannes Brahms Gesamtausgabe“ an der Forschungsstelle der Universität Kiel. Ziel der Gesamtausgabe ist es, alle musikalischen Werke von Brahms zu publizieren, samt alternativer Werkfassungen, die der Komponist unveröffentlicht ließ, sowie die von ihm angefertigten Bearbeitungen eigener und fremder Werke.

Im Vortrag „Der junge Brahms und das Klavier“ hob Eich die Symbiose hervor, welche zwischen dem Komponisten und dem Pianisten Brahms bestand. Nachdem Robert Schumann ihn zum ersten Mal gehört hatte, schrieb er seinen euphorischen Artikel „Neue Bahnen“, in welchem er den jungen Norddeutschen als messianische Erscheinung beschrieb, die die Zuhörer in Ekstase zu setzen vermag. Ein besonderes Augenmerk legte Eich auf Brahms „2. Klaviersonate in fis-Moll op. 2“. Sie entwickelt sich aus einem Motiv, zu welchem Brahms durch das Lied „Mir ist Leide, daß der Winter beide, Wald und Heide, hat gemachet fahl“ des Minnesängers Kraft von Toggenburg inspiriert wurde. „Brahms ist hier näher an der Programmmusik als man denkt“, so Eich. Das Werk erklang unter den Händen der aus Moskau stammenden Pianistin Sofja Gülbadamova.

Subtile Schattierungen

Ihre Interpretation vermittelte das Wandeln zwischen Einsamkeit und Momenten des Lächelns, beinahe fühlte man sich von ihr in ein Gemälde Caspar David Friedrichs versetzt. Die Pianistin, die 2012 beim Festival „Raritäten der Klaviermusik“ in Husum debütierte, hat einen besonderen Anschlag, der Farben und hintergründige Andeutungen in der Musik hervorruft, ohne die Gesamtanlage der Komposition aus den Augen zu verlieren. Michael Struck befasste sich unter anderem mit dem „Dialog über die Variationen“, den Brahms mit Joseph Joachim führte. Er gestaltete sich extrem fruchtbar. Brahms dankte Joachim in einem Brief für seine wohlmeinende Aufrichtigkeit. Die „Variationen über ein ungarisches Lied, op. 21, Nr. 2“ schickte Brahms an seinen Freund, er bezeichnete sie als „eben gebackene Bemme“. Diese überzeugte Joachim auf Anhieb. Dessen „Variationen über ein irisches Elfenlied“ entstanden 1856, Michael Struck entdeckte sie 1989 wieder. Gülbadamova stellte die beiden Werke einander gegenüber, so kamen die Zuhörer in den Genuss des Ergebnisses des Gedankenaustausches der beiden Komponisten.

Wiesbadener Kurier online am 26. Juni 2015, Autor: Manuel Wenda