Glucks Gavotte, verliebte Walzer. Brahms-Gesamtausgabe: Forschungsstelle der Kieler Universität präsentierte neue Editionsbände

Sphärenklänge? Wenn im Musikwissenschaftlichen Institut der Kieler Universität einmal mehr neue Notenbände der Brahms-Gesamtausgabe an Oliver Grundei, den zuständigen Staatssekretär im Landesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, übergeben werden, könnte das ein[e] dröge Angelegenheit werden. Doch Instituts- und Projektleiter Prof. Siegfried Oechsle hat hier alles Recht, „die Sphären der Kunst und der Wissenschaft“ in Konsonanz klingen zu hören. Denn zum 65. Geburtstag des Brahms- und Schumann-Forschers Dr. Michael Struck brachte der Jubilar selber und viele Weggefährten wie Universitätsmusikdirektor Bernhard Emmer im voll besetzten Bach-Saal in Schwingungen, was sich zwischen den Leinendeckeln der Henle-Edition – nun wissenschaftlich belegt – angesammelt hat.

Die neuesten Errungenschaften (nach der spannungsvoll kargen Strenge der späten Orgelwerke sowie den Trios mit Horn oder auch Klarinette aus den Vorjahren) betreffen einerseits Brahms‘ ausgeprägtes Interesse an historischer Musik: Dr. Johannes Behr moderierte aus dem druckfrischen Band für „Ein- und zweihändige Klavierarrangements fremder Werke“ eine graziöse A-Dur-Gavotte aus Glucks Oper Iphigénie en Aulide an, die der Meister selber, aber auch Clara Schumann bevorzugt als Klavier-Solo-Zugabe in Konzerten spielten. Auch die Klavierbearbeitung der Bach-Chaconne nur „für die linke Hand“ ist ein interessanter und manuell heikler Fall.

Einen Editionskrimi hatte Dr. Katrin Eich in Sachen „Streichsextette“ zu bearbeiten, wo bislang unbekannte Stimmensätze auf einem Schweizer Dachboden auftauchten oder geheime Noten-Anagramme auf die Ex-Verlobte Agathe von Siebold verweisen. Für Clara Schumann bearbeitete Brahms den Variationensatz des ersten Sextetts aus Opus 18 im Jahr 1865. Die Pianistin Sofja Gülbadamova machte bei der Präsentation eindrucksvoll deutlich, dass dafür zwar ihre beiden, aber längst nicht für alle Klavierspieler zwei Hände ausreichen.

Aktuell in Arbeit bei Dr. Jakob Hauschildt sind im Band „Vokalensembles mit Begleitung I“ Brahms‘ „verliebte Walzer“. Emmers CAU-Vocalensemble machte mit Struck und seiner Tochter Anna Theresa Struck-Berghäuser vierhändig am Flügel in tändelndem Swing schön deutlich, dass es sich lohnt, das „Netzwerk der Versionen“ (Hauschildt) in den Liebeslieder-Walzern zu durchdringen.

Kieler Nachrichten vom 29. November 2017, Autor: Christian Strehk