Frei, aber nicht einsam forschen. Zum Vortragskonzert der Brahms-Gesamtausgabe in der Landesbibliothek

Die wissenschaftlich fundierte Herausgabe des Gesamtwerks eines Komponisten scheint manchem bei oberflächlicher Betrachtung leicht wie übertriebene Erbsenzählerei. Deshalb ist es gut, wenn die Mitarbeiter einer solchen Institution gelegentlich der Öffentlichkeit gegenüber Zeugnis ablegen, wie einflussreich und vielfältig ihre Tätigkeit ins Musikleben hineinreicht und wie spannend sie manchmal sein kann, wenn auf Schweizer Dachböden oder bei Auktionen plötzlich werkrelevantes Material auftaucht. Beim Kieler-Woche-Vortragskonzert, das die Arbeitsgemeinschaft der Kieler Auslandsvereine traditionell gemeinsam mit der Landeshauptstadt in der Landesbibliothek ausrichtet, gelang das Dr. Katrin Eich und Dr. Michael Struck von der sinnvoll eng mit dem Musikwissenschaftlichen Institut der Kieler Universität vernetzten Johannes Brahms Gesamtausgabe Kiel am Donnerstag vorbildlich. Das sachlich Hintergründige mischten sie in ihrem Vortrag Vom Einfall zum Beifall gekonnt mit dem detektivisch und historisch Unterhaltsamen ab. Für den Brückenschlag zum endgültig sinnlich Anschaulichen hatten sie die rumänischen Geschwister Mircea (Violine) und Mirela (Klavier) Mocanita hinzugebeten, die sich intensiv auf die musik- und editionsgeschichtlich besonders interessante Sonate a-Moll mit dem motivisch-thematischen Motto F.A.E. („frei aber einsam“) einließen. Die befreundeten Komponisten Robert Schumann, Albert Dietrich, Robert Schumann und Johannes Brahms hatten die Rarität 1853 gemeinsam satzweise für „den verehrten und geliebten Freund Joseph Joachim“ geschrieben. Die Pianistin Mirela Mocanita steuerte (gemeinsam mit Struck oder allein im Kampf mit Brahms’ virtuosen Ansprüchen) außerdem den Vergleich zwischen der vierhändigen und zweihändigen Fassung des ersten Ungarischen Tanzes bei.

Flankiert wurde das Konzert von der Ausstellung Klingende Denkmäler – Musikwissenschaftliche Gesamtausgaben in Deutschland, die noch bis zum 9. Juli in der Landesbibliothek (Sartori & Berger-Speicher am Wall) zu sehen ist und als Glanzstück – wie berichtet – das bisher unbekannte Brahms-Autograph der Orgelfuge as-Moll zu bieten hat.

Kieler Nachrichten vom 24./25. Juni 2006, S. 9 (Autor: Christian Strehk)