Violoncellosonaten Nr. 1 e-Moll op. 38 und Nr. 2 F-Dur op. 99; Klarinettensonaten f-Moll und Es-Dur op. 120 Nr. 1 und 2

(Serie II, Band 9), hrsg. von Egon Voss und Johannes Behr, München 2010

Der nach dem Klavierquintett (II/4) und den Streichquartetten (II/3) dritte vorgelegte Kammermusik-Band der JBG enthält vier Werke, deren Entstehung einen Zeitraum von 32 Jahren umfasst. Die erste Violoncellosonate wurde 1862 begonnen und 1865 abgeschlossen, die zweite folgte 1886, und die beiden Klarinettensonaten entstanden im Jahr 1894.

Für die Editionen aller vier Werke konnten neu aufgefundene oder bislang unzugängliche Quellen herangezogen werden. Im Fall der Cellosonate op. 38 ist zwar die autographe (1. Satz) bzw. abschriftliche (2./3. Satz) Stichvorlage nach wie vor verschollen, doch ist in einem Teilnachlass des Simrock-Verlages in Schweizer Privatbesitz immerhin eine Fotografie der Anfangsseite des 1. Satzes aufgetaucht, die nun erstmals ausgewertet werden konnte und im Faksimile gezeigt wird. In den Nachlässen von Josef Gänsbacher (Widmungsträger von op. 38) und Robert Hausmann (Uraufführungs-Cellist von op. 99) konnten jeweils deren Spielexemplare beider Cellosonaten ausfindig gemacht werden. Besonders interessant sind hier Hausmanns Exemplare: ein Erstdruck von op. 38 mit eigenhändiger Notiz von Brahms anlässlich des gemeinsamen Musizierens am 5. September 1883 und ein Vorabzug von op. 99, der auf Brahms’ Wunsch im März 1887, also einen Monat vor der offiziellen Publikation, eigens für Hausmann hergestellt wurde. Auch im Nachlass des Klarinettisten Richard Mühlfeld, der gemeinsam mit Brahms die beiden Sonaten op. 120 uraufführte, fanden sich Vorabzüge, die einen Druckstatus noch vor dem Erstdruck aufweisen und somit aufschlussreich für die Publikationsgeschichte dieser Werke sind.

Im Fall der Klarinettensonaten sind darüber hinaus verhältnismäßig viele handschriftliche Quellen überliefert, aus denen Erkenntnisse über die Werkgenese sowie Korrekturen und Präzisierungen des Notentextes zu gewinnen waren. Die Sonate op. 120 Nr. 1 gehört zu den wenigen Werken von Brahms, zu denen Skizzen erhalten sind; diese werden im vorliegenden Band vollständig übertragen und faksimiliert. Die autographen Partituren und Klarinettenstimmen beider Sonaten, die Brahms im Sommer 1895 Richard Mühlfeld schenkte, waren noch bis 1997 im Besitz von dessen Familie. Seither befinden sie sich als Teil der Robert Owen Lehman Collection in der Pierpont Morgan Library in New York und wurden nun erstmals für eine Edition ausgewertet, insbesondere durch eine Dokumentation der ursprünglichen Fassungen zahlreicher später geänderter Stellen. Auch die abschriftlichen Stichvorlagen, die schon seit längerer Zeit im Brahms-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg zugänglich sind, bieten mit ihren nachträglichen Änderungen Aufschlüsse über die weitere Detailarbeit des Komponisten. Ein genauer Vergleich mit den Autographen ermöglichte außerdem die Korrektur etlicher Kopistenfehler, die unbemerkt geblieben und dadurch in die Erstdrucke (sowie spätere Ausgaben) der beiden Klarinettensonaten eingegangen waren. Der gravierendste Fehler dieser Art betrifft die Takte 147/148 im 2. Satz der Sonate op. 120 Nr. 2. An dieser Stelle kurz nach Wiederaufnahme des Anfangs hatte Brahms im Autograph sowohl die Klarinettenstimme als auch den Klavierpart nachträglich gegenüber dem Satzbeginn verändert. Der Kopist schrieb zwar die neue Klarinettenstimme richtig ab, kombinierte sie jedoch irrtümlich mit dem Klavierpart in der Fassung des Satzanfangs. Da sich hieraus eine zwar bedenkliche, aber nicht geradezu falsche Stimmführung ergab, konnte der Fehler unbemerkt bleiben. Im vorliegenden Band wird die von Brahms gewünschte Fassung erstmals wiederhergestellt.

Brahms selbst ließ schon zum Erstdruck der beiden Klarinettensonaten alternative Bratschenstimmen erscheinen. Anders als in der alten Brahms-Gesamtausgabe (Band 10, Leipzig 1926, Revisionsbericht von Hans Gál) angegeben, stimmen diese keineswegs »mit der Klarinette genau überein«, sondern enthalten an vielen Stellen eigene, für das Streichinstrument charakteristische Passagen, die in der JBG-Edition jeweils im Kleinstich über der Klarinettenstimme abgedruckt werden.