(Serie II, Band 2), hrsg. von Kathrin Kirsch, München 2019
Mit dem 1. Streichquintett F-Dur op. 88, dem 2. Streichquintett G-Dur op. 111 und dem Klarinettenquintett h-Moll op. 115 versammelt Band 2 der Kammermusik-Serie die Werke für Quintett-Besetzung ohne Klavier. Ihre Quellensituation ist sehr verschieden, was für die Edition im Rahmen der JBG ein jeweils unterschiedliches Gewicht der Hauptquelle (Erstdruck, Erstdruck in Gestalt des Handexemplars) im Verhältnis zu handschriftlichen Quellen zur Folge hatte.
Außergewöhnlich gut dokumentiert ist die Drucklegung des 1. Streichquintetts op. 88 (entstanden im Sommer 1882, erschienen im Dezember des Jahres). Ende Oktober erhielt der Verleger Fritz Simrock das vom Lektor Robert Keller durchgesehene Autograph als Stichvorlage. Mehrere Korrekturphasen sind durch erhaltene Vorabzüge belegt: Ein erster, von Keller bis zum 9. November bearbeiteter Stimmen-Korrekturabzug enthält Änderungen von Brahms in Kellers Hand, die dieser aus einem weiteren verschollenen Abzug übertragen haben muss. Nachdem die Änderungen in der Stecherei bis zum 11. November umgesetzt worden waren, bearbeitete Brahms den jeweils 2. Korrekturabzug von Stimmen und Partitur nach Kellers Durchsicht ab dem 13. November. Einen Parallelabzug zum 2. Korrekturabzug der Partitur erhielt später Eusebius Mandyczewski. Der Partitur-Erstdruck enthält (nach einer nicht quellenmäßig überlieferten 3. Korrektur durch Keller) alle in den erhaltenen Abzügen dokumentierten redaktionellen und kompositorischen Änderungen. Da der gründlich vorbereitete Erstdruck somit als sehr zuverlässig gelten kann, erfolgten editorische Eingriffe in die Hauptquelle nur zurückhaltend. Durch den Stich bedingte Standardisierungen z. B. bei Gabellängen wurden auch dort eher belassen, wo sie im Detail Abweichungen gegenüber dem Autograph zeigen.
Für das 2. Streichquintett op. 111 (erschienen im Februar 1891) sind an handschriftlichen Quellen neben dem reinschriftlichen Autograph abschriftliche Stimmen erhalten, die während einer ersten Erprobungsphase genutzt wurden. Die ebenfalls abschriftlichen Stichvorlagen von Partitur und Stimmen sowie Vorabzüge sind dagegen verschollen. Daher mussten Divergenzen zwischen Manuskript- und Druckquellen jeweils vermutungsweise gemäß der Erfahrung mit besser belegten Fällen als redaktionell, kompositorisch oder fehlerbedingt bewertet werden. Zugleich entfallen im Editionsbericht Fehlerzuschreibungen an Kopist oder Stecherei. Angemessen darzustellen war der Befund, dass Brahms für den Beginn des Kopfsatzes nach längerer Überlegung bewusst differenzierende dynamische Angaben für die Stimmen gegenüber der Partitur anwies; unter anderem ist in der JBG-Edition die Lesart der gedruckten Stimmen in einer Fußnote zum Notentext wiedergegeben.
Im Fall des im März 1892 erschienenen Klarinettenquintetts op. 115, an dessen Drucklegung der bereits im Juni 1891 verstorbene Lektor Keller nicht mehr mitwirken konnte, sind das Autograph und die abschriftliche Partitur-Stichvorlage überliefert, während Vorabzüge wiederum fehlen. Vom Autograph über die Stichvorlage bis hin zum Erstdruck lassen sich hier insbesondere bei Gabelpositionen fortschreitende Veränderungen bzw. ‚Folgefehler‘ beobachten: Die Kopisten (1. Satz: Mandyczewski, 2.–4. Satz: William Kupfer) übernahmen Brahms’sche Schreibungenauigkeiten bei Gabeln teilweise diplomatisch, nahmen jedoch auch Angleichungen vor. Im Stich kam es daraufhin teilweise zu noch deutlicher vom Autograph abweichenden Lösungen. In solchen Fällen geht die JBG-Edition daher häufiger als im Fall des Quintetts op. 88 auf Lesarten des Autographs zurück, wobei Brahms mit einer Vereinheitlichung in geringerem Umfang sicherlich gerechnet hatte.