Orgelwerke

(Serie IV), hrsg. von George S. Bozarth unter Mitarbeit von Johannes Behr, München 2015

Der einzige Band der Serie IV enthält sämtliche überlieferten Orgelwerke von Brahms. Nur zwei dieser Werke wurden vom Komponisten selbst als Beilagen zu Musikzeitschriften veröffentlicht: 1864 erschien die Fuge as-Moll WoO 8 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung, 1882 folgte das Satzpaar Choralvorspiel und Fuge über »O Traurigkeit, o Herzeleid« WoO 7 im Musikalischen Wochenblatt. Die Elf Choralvorspiele op. posth. 122, niedergeschrieben im Mai und Juni 1896 als letzte Kompositionen überhaupt, blieben zu Brahms’ Lebzeiten unveröffentlicht und wurden erst 1902 aus dem Nachlass publiziert. Zwei weitere Satzpaare, Präludium und Fuge a-Moll (WoO posth. 9) und Präludium und Fuge g-Moll (WoO posth. 10), entstanden bereits 1856 bzw. 1857 als Kompositionsstudien und galten Brahms selbst offenbar nicht als publikationswürdig; sie blieben nur ›zufällig‹ in Gestalt früh verschenkter Autographe erhalten und wurden 1927 in der alten Brahms-Gesamtausgabe erstmals gedruckt. Zur Fuge as-Moll und zum Choralvorspiel über »O Traurigkeit, o Herzeleid« sind zudem Frühfassungen von 1856 bzw. 1858 überliefert, welche im Anhang des Bandes mitgeteilt werden.

Besondere editorische Probleme bot die Quellenlage der Elf Choralvorspiele op. posth. 122. Der fünf Jahre nach Brahms’ Tod erschienene Erstdruck, anonym herausgegeben von Eusebius Mandyczewski, kam als Hauptquelle nicht in Frage, da er zahlreiche und teilweise gravierende Änderungen gegenüber den authentischen Quellen aufweist. Die nachgelassenen Manuskriptquellen ihrerseits erwiesen sich als heterogene Sammlung mehrerer Konvolute von unterschiedlichem Quellenrang. Die Nummern 1–7 (nach Zählung des Erstdrucks) liegen sowohl im Autograph (Mai 1896) als auch in einer vom Kopisten William Kupfer erstellten und von Brahms revidierten Abschrift (Juni 1896) vor. Der Quellenvergleich ließ erkennen, dass Brahms zwar in beiden Handschriften nachträgliche Änderungen vornahm, dass aber insgesamt die Abschrift einen weiter fortgeschrittenen Revisionsstand repräsentiert, weshalb sie als Hauptquelle für diese erste Gruppe von Choralvorspielen heranzuziehen war. Als weiteres Problem kam hinzu, dass die Reihenfolge der ersten sieben Stücke in der Abschrift von derjenigen im Autograph abweicht, was auf eine nicht überlieferte Anweisung von Brahms oder auf Kupfers schreibpraktisch motivierte Verwendung unterschiedlicher Notenpapiere für die Manualiter-Stücke mit zwei und die Pedaliter-Stücke mit drei Systemen zurückgehen kann. Die Edition hält sich in diesem Zweifelsfall an die Hauptquelle, gibt die ersten sieben Choralvorspiele also in der Reihenfolge der Abschrift (und ebenso des Erstdrucks) wieder.

Für die im Erstdruck mit 8–11 nummerierten Stücke kamen nur die autographen Reinschriften als Hauptquellen in Betracht, da die vorhandene abschriftliche Stichvorlage von Eusebius Mandyczewski keine Spuren einer Revision von Brahms zeigt und offenkundig erst posthum im Zuge der Vorbereitung des Erstdrucks von 1902 entstand. Es handelt sich bei den Autographen um zwei separate Quellen: eine einzeln stehende, undatierte Handschrift der Nummer 8 (»Es ist ein Ros’ entsprungen«) und eine auf Juni 1896 datierte, fortlaufende Niederschrift der Nummern 9–11. Während Mandyczewski in seiner Abschrift das undatierte Einzelstück zwischen die beiden datierten Serien einfügte (sei es aus schreibpraktischen Gründen, sei es mit der Absicht, »O Welt, ich muss dich lassen« als sinnfälliges ›Abschiedsstück‹ zu bringen), verfährt die JBG-Edition hier nach dem philologischen Prinzip, Undatiertes nach Datiertem abzudrucken. Abweichend vom Erstdruck werden demnach anschließend an die sieben Nummern von Mai 1896 zunächst die drei Choralvorspiele des auf Juni 1896 datierten Autographs und erst danach das undatiert überlieferte »Es ist ein Ros’ entsprungen« wiedergegeben. Um jederzeit anzuzeigen, dass es sich bei dieser Anordnung nicht um eine vom Komponisten festgelegte Druckreihenfolge handelt – diese hätte Brahms sicherlich erst kurz vor der Publikation fixiert –, werden die Nummern der Elf Choralvorspiele im vorliegenden Band durchgehend eckig geklammert.