Lieder op. 103, 105–107, 121, WoO 21–23, Anh. III Nr. 13

(Serie VII, Band 6), hrsg. von Johannes Behr, München 2024

Als erste Liederedition innerhalb der JBG wird der sechste und letzte Band der betreffenden Serie VII vorgelegt, dessen Hauptteil die späten, ab 1888 von Brahms mit Opuszahlen veröffentlichten Lieder und Gesänge für eine Singstimme und Klavier enthält: die Acht Zigeunerlieder op. 103 (erschienen im April 1889 als einstimmige Fassung einer Auswahl der Elf Zigeunerlieder für vier Singstimmen und Klavier, die bereits im Oktober 1888 herausgekommen waren), die jeweils fünf Lieder op. 105–107 (op. 105 für tiefere, op. 106 und 107 für hohe Stimme, Oktober 1888) und die Vier ernsten Gesänge für Bassstimme op. 121 (Juli/September 1896). Am Ende des Hauptteils steht das Lied „Mondnacht“ WoO 21, das vom Komponisten selbst 1854 ohne Opuszahl publiziert wurde.

Den Anhang des Bandes bilden zum einen mehrere vollständige und somit aufführbare Lieder (bzw. eine Liedfassung), die Brahms unveröffentlicht gelassen und selbst nicht aufbewahrt hatte, von denen jedoch Manuskriptquellen aus dem Besitz Anderer erhalten geblieben sind: Fünf Lieder der Ophelia WoO posth. 22 (entstanden 1873 für eine Aufführung von Shakespeares „Hamlet“ in Prag), das Lied „Regentropfen aus den Bäumen“ WoO posth. 23 (entstanden bis 1872 als erste Vertonung eines Gedichts von Klaus Groth, dessen zweite Vertonung 1873 als „Nachklang“ op. 59 Nr. 4 herauskam) und eine 1886 niedergeschriebene vorläufige Strophenlied-fassung des 1888 in definitiver Fassung erschienenen Liedes „An die Stolze“ op. 107 Nr. 1. Zum anderen wird im Anhang fragmentarisches und skizzenhaftes Material ediert: der allein überlieferte Anfangsteil des 1853 komponierten Liedes „Die Müllerin“ Anh. III Nr. 13 und erhaltene Skizzen zu den Vier ernsten Gesängen op. 121. Bei Letzteren handelt es sich um ein Thema aus Skizzen zu einem unvollendeten Orchesterwerk (vermutlich einer zeitweise geplanten 5. Symphonie), das Brahms später in op. 121 Nr. 2 übernahm, und um ausführliche Skizzen zu op. 121 Nr. 4 auf der Rückseite desselben Blatts. Die Wiedergabe dieser Skizzenseite auf zwei gegenüberliegenden Klapptafeln mit Faksimile-Abbildung und originalgetreuer Transkription ermöglicht einen Nachvollzug des (Kompositions- und) Schreibprozesses, bei dem Brahms die Seite in einer charakteristischen nicht-linearen Weise sukzessive füllte.

Im Fall der insgesamt 15 Lieder op. 105–107 lag eine besondere Schwierigkeit darin, dass Briefzeugnisse und Aufführungsnachweise auf die Existenz zahlreicher weit vor dem Druck entstandener Manuskriptquellen schließen lassen, die jedoch nahezu alle verschollen sind. In die rekonstruierte Entstehungsgeschichte des jeweiligen Opus mussten diese Quellen dennoch einbezogen werden, woraus sich verhältnismäßig komplizierte Zusammenhänge ergaben – zumal dabei außerdem nachträgliche Umstellungen und Erweiterungen der drei Liederhefte durch den Komponisten zu dokumentieren waren.

Die fünf Ophelia-Lieder WoO posth. 22 sind insofern bemerkenswert, als sie ein komponiertes Fragment enthalten: In Nr. 4 („Sie trugen ihn auf der Bahre bloß“) führte Brahms die Klavierbegleitung nur für die Takte 1–6 aus und ließ in den verbleibenden Takten 7–12 die Singstimme unbegleitet stehen. Anders als frühere Ausgaben, die den vermeintlich fehlenden Klavierpart ergänzten, druckt die vorliegende Edition das Lied in seiner überlieferten ‚unvollständigen‘ Gestalt ab und versucht diese in einem ausführlichen Einleitungskapitel aus der Aufführungstradition der Ophelia-Lieder auf der Theaterbühne zu erklären.