Klavierquintett f-Moll op. 34

(Serie II, Band 4), hrsg. von Carmen Debryn und Michael Struck, München 1999

Die Edition von Brahms’ Klavierquintett ist in ihrem Notentext von zahlreichen Schreib-, Stecher- und Korrekturfehlern sowie von – teilweise gegen die Intentionen des Komponisten gerichteten – nachträglichen Verlagsrevisionen befreit, die bis in die alte Gesamtausgabe und spätere textkritische Editionen gelangt waren. Durch die Einbeziehung eines neu aufgefundenen Vorabzuges, der aus der zweiten Phase der Korrekturlesung für den Erstdruck stammt, und aufgrund der Auswertung von Plattenkorrektur-Spuren ließen sich zusätzliche wertvolle Grundlagen für editorische Entscheidungen gewinnen sowie späte Phasen von Brahms’ kompositorischer Korrekturarbeit genauer differenzieren.

Das Phänomen von Plattenkorrektur-Spuren in (zumeist späteren) Druckabzügen war innerhalb der philologischen Arbeiten der JBG in diesem Band erstmals hervorgetreten. Es kann in Zweifelsfällen bei unterschiedlichen Lesarten von Stichvorlage und Erstdruck die Lesart des Druckes bestätigen. Korrekturspuren, die drucktechnisch gesehen Defekte sind, treten nur in bestimmten Auflagen und Abzugsphasen auf, da sie nach der Entdeckung auf den Druckvorlagen wegretuschiert wurden, so dass sie in weiteren Abzügen nicht mehr erscheinen. Außerdem brachen Korrekturstellen auf den alten Metallplatten offenbar zu unterschiedlichen Zeiten auf. Im Extremfall werden derartige Druckexemplare also in den Rang von Unikaten erhoben, während Drucke aus Brahms’ Zeit üblicherweise nach dem Kriterium von Auflagen erfasst werden.

Einleitung und Kritischer Bericht des Bandes beziehen, soweit erforderlich, auch die Entstehungs- und Quellengeschichte der beiden früheren Werkstadien ein (verschollenes Streichquintett; Sonate für zwei Klaviere op. 34bis).

Rezensionen

Auch dieser Band, der den Text des 1862 bis 1865 über mehrere Werkstufen hinweg entstandenen Klavierquintetts op. 34 publiziert, steht vor einem prinzipiellen Quellenproblem der Brahms-Edition: dem praktisch vollständigen Fehlen von Korrekturabzügen. Erstmals jedoch in der Geschichte der Brahms-Edition wird hier versucht, dieses Dilemma durch das systematische Einbeziehen von so genannten »Plattenkorrekturen« zu kompensieren. Es handelt sich dabei um von Exemplar zu Exemplar, von Auflage zu Auflage wechselnd gut sichtbare Spuren von Korrekturvorgängen, deren Zeitpunkt und mögliche Autorisierung durch den Komponisten im Einzelfall jeweils durch intensiven Quellenvergleich ermittelt werden muss. Methode und Ertrag dieses Verfahrens sind vom Bandherausgeber Michael Struck schon im Vorfeld dieser Edition in mehreren Tagungsbeiträgen demonstriert und diskutiert worden.

Die vorliegende Ausgabe entscheidet sich, anders als die alte Gesamtausgabe, für eine (im Brahms-Werkverzeichnis nicht erwähnte) dem Handexemplar gegenüber spätere Auflage des Erstdrucks als Hauptquelle, wie sie überhaupt neben dem Autograph und dem Erstdruck-Handexemplar nicht weniger als acht vorher unbekannte Quellen (verschiedene Auflagen der Partitur- und Stimmen-Erstdrucke) mit heranziehen kann. (Außerdem werden in Zweifelsfragen die entsprechenden Quellen zur Sonate für zwei Klaviere op. 34bis befragt.) Im Ergebnis wird ein Notentext des Klavierquintetts op. 34 präsentiert, der von den auf die alte Gesamtausgabe zurückgehenden Editionen vor allem in zahlreichen Details der Artikulation, der Bogensetzung und der Dynamik abweicht (wobei manche auch nur Korrekturen offensichtlicher Irrtümer sind). […]

Vor allem aber, und das dürfte das nicht geringste Verdienst des Bandes sein, wird in einem umfangreichen Editionsbericht ein genaues Bild des feilenden, korrigierenden und bis zum Schluss mit Details befassten Komponisten gezeichnet. Besonders wertvoll sind in dieser Hinsicht die genauen Ausführungen zu den verschiedenen Korrekturschichten im Manuskript, die (wie etwa am Expositionsschluss und der analogen Stelle in der Reprise des ersten Satzes) naturgemäß die gravierendsten Eingriffe in die Werkkonzeption dokumentieren. Hier leistet der Herausgeber-Bericht dankenswerterweise viel mehr, als für den Zweck einer bloßen Edition erforderlich wäre. An signifikanten Stellen wird dem Benutzer die Möglichkeit gegeben, die Ausführungen an Faksimile-Abbildungen nachzuvollziehen. Dass der Editionsbericht die genaue Dokumentation der Manuskript-Korrekturen, die akribischen Lesartenbeschreibungen der verschiedenen Quellen und die ausführlichen Begründungen der Herausgeberentscheidungen mischt bzw. miteinander kombiniert (statt einer sauberen, aber mechanischen Trennung beider Bereiche), kann eigentlich nur dann Einwände provozieren, wenn man nicht gleichzeitig anerkennt, wie einwandfrei und übersichtlich diese Ebenen graphisch voneinander getrennt sind; dieses Verfahren erspart der Argumentation der Editoren Erhebliches an Wiederholung und damit an Raum.

So wird der Band auf glückliche Weise den Bedürfnissen der Praxis und der Wissenschaft gerecht: Er ist nicht nur als Publikation des nun wohl besten erreichbaren Notentextes des Werks wichtig, sondern er ist vor allem auch als detaillierte Auskunftsquelle zu jenem Bereich wertvoll, über den Brahms durch Vernichtung fast aller Vorarbeiten ein planvolles Dunkel gebreitet hat: zum Kompositionsprozess. Zwar gelangen auch hier nur noch die allerletzten Stufen eines – gerade bei dem vorliegenden Werk – ganz offensichtlich sehr langwierigen Prozesses in den Blick, aber sie sind so detailliert dokumentiert und so akribisch genau beschrieben, dass man den Eindruck gewinnt, die wenn auch nur kleine Spitze des Eisbergs doch wenigstens in größtmöglicher Zuverlässigkeit präsentiert zu bekommen. Noch vollständiger dürfte das Bild werden, wenn (in hoffentlich gleicher Genauigkeit) die Edition der Sonate für zwei Klaviere op. 34bis vorliegen wird.

Hans-Joachim Hinrichsen, in: Die Musikforschung, Jg. 55 (2002), Heft 4, S. 497–498

[…] For scholars, much of the value of the new edition will lie in the detailed account of the work’s genesis and above all in the critical report. In addition to a list of variants in the sources and of corrections made by the editors, the critical report offers a meticulous account of revised passages in Brahms’s autograph score, which served as the engraver’s copy. Several of the more extensive revisions involved recomposing or redistributing the notes of the string parts. Thus in mm. 33–42 of the second movement in Brahms’s manuscript, the beginning of the central E-major section, the editors have discerned several layers of revisions. At one point Brahms considered having the second violinist and violist double the pianist’s right hand in mm. 33–34. He also tried giving the primary melodic line in mm. 35–36, which ultimately went to the second violinist and violist, to the cellist. But the conductor Hermann Levi warned him in a letter quoted by the editors that the writing was awkward on the cello, and Brahms took his advice. The critical report provides transcriptions of the reconstructed early versions of the passage, along with explanatory remarks (pp. 114–15) and a beautifully reproduced facsimile (p. 113) – one of many – of the relevant pages from the autograph.

In rewriting the problematic work for piano quintet, Brahms apparently referred to the autograph of the Sonata for Two Pianos, possibly also to that of the string-quintet version. The critical report describes several passages in the autograph of the Piano Quintet scored directly from the two-piano work, but then rewritten to diverge significantly from it. One example appears in the first movement toward the end of the exposition. Brahms originally composed a six-measure version of mm. 81–85 with consistent antiphonal effects between the two pianos: a lower version of a sub-phrase for Piano II answered by a version an octave or so above in Piano I. The third answer, the climax of the passage, led to the final cadence of the exposition. In the Piano Quintet Brahms gave the lower statements to the piano, answered by the strings in the higher register. But in a pasted-over revision of the passage, he left out the third low sub-phrase, which allowed the strings’ second high answer to drive more urgently into the climax (m. 85 in the revised version), scored now for piano. (A facsimile of the autograph and a transcription are given on p. 72.) Similar revisions occur in the analogous place in the recapitulation and in the slow introduction to the final movement.

For performers, the attractions of this edition will probably center on the clarity and spaciousness of print that always makes Henle scores a pleasure to read, but also on the reinstated subtleties of Brahms’s own dynamics, which will suggest fresh ways of shaping certain phrases. The edition, for example, restores a series of »hairpin« crescendos and decrescendos for a rising sequence toward the end of the development section in the first movement (mm. 154–59) as he notated them in the autograph. Because of what the editors call »engraving errors,« the carefully calibrated distinctions between the pairs of hairpins for each of the sequence’s three steps disappeared: each step received the same dynamic markings in the first edition and, as a consequence, in the collected works published in the 1920s.

The new edition’s many virtues make it an invaluable resource for both scholars and performers. We anticipate studying the other volumes that have already come out and additional volumes on the way with great pleasure.

Margaret Notley, in: The American Brahms Society, Newsletter 20, Nr. 2, Herbst 2002, S. 9

Il faut chaleureusement saluer l’initiative grâce à laquelle une nouvelle édition monumentale Brahms voit le jour, dans une très belle publication des Éditions Henle. Rappelons que la précédente édition monumentale, datant de 1926–1927, fut établie par Eusebius Mandyczewski et Hans Gál en un laps de temps exceptionellement bref et, qu’en conséquence, elle ne put se référer qu’à un nombre restreint de sources. Les options musicologiques et éditoriales de la présente édition monumentale sont à l’opposé, et la publication emporte l’adhésion par la rigueur d’une démarche scientifique qui ne laisse rien au hasard. […] elle est un outil indispensable pour l’artiste soucieux d’une interprétation fidèle à l’œuvre. Toutefois, par la densité de son appareil critique, par la somme de connaissances qu’elle recèle, elle doit aussi avoir sa place dans la bibliothèque du chercheur.

Dans le volume II, 4 qui nous occupe ici, consacré au Quintette avec piano en fa mineur op. 34, Carmen Debryn et Michael Struck font appel à un nombre considérable de sources, portant un intérêt tout particulier aux corrections proposées par Brahms aux différentes étapes de la réalisation définitive, nous offrant ainsi des clefs inestimables pour la connaissance du processus compositionnel brahmsien, mais aussi donnant vie à leur texte par des références constantes à la correspondance brahmsienne.

[…] Grâce à un Rapport d’édition de quelque 53 pages, il nous permet de nous situer à des moments divers du processus compositionnel. À chacun, en conséquence, en fonction de ses propres interrogations, de personnaliser sa lecture de la partition. Considérons, par exemple, la question des annotations expressives. Suite aux observations de ses amis, nous apprend l’introduction, Brahms les réduisit sensiblement: l’œuvre en était, semble-t-il, surchargée. Il en résulta une version plus neutre, émotionnellement plus épurée. Au travers des multiples citations du manuscrit autographe proposées dans le Rapport d’édition, nous pouvons nous faire une idée de l’œuvre dans son état premier, état digne d’attirer l’attention. Reflet non troublé d’une esthétique brahmsienne reposant sur un temps dilaté, étiré, la partition originale, avec ses nombreuses indications expressives, est un document dont la connaissance influencerait certainement l’instrumentiste, l’amenant à une lecture en priorité horizontale du texte musical, à une interprétation où la tenue du son l’emporterait sur le faux dramatisme des actes verticaux.

[…] Enfin, le travail mené sur les sources est passionnant. Ayant multiplié les comparaisons entre documents, les auteurs décrivent très précisément les différentes sources. Ils les ont soigneusement classifiées, depuis le manuscrit autographe A+ jusqu’aux différents retirages de la première édition, le présent volume ayant été établi sur la base du document appelé E2, un des premiers retirages de la première impression. […]«

Françoise Andrieux, in: Revue de Musicologie 87/1, 2001, S. 203–205